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Niehr, Thomas; Reissen-Kosch, Jana (2018): Volkes Stimme - Hilfreich, aber etwas verschenktes Potenzial

Ein durchaus politisches Buch zu rezensieren bedarf eines nicht allzu geringen Maßes an Feinfühligkeit und Objektivität. Individuelle politische Ansichten beeinflussen sonst möglicherweise die Wahrnehmung, egal ob der vorliegende Text Übereinkünfte oder Ablehnung erzeugt. Aus diesem Grund möchte ich mich ihm zielorientiert annähern. Das heißt, dass ich die vorliegende Einleitung – bzw. Einleitungen, denn das Buch umfasst neben einem Vorwort des ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, der Exposition der Autoren noch das erste Kapitel, in welchem die Zielstellung benannt wird – auf ihre Absichten untersuche und die Wertigkeit des Buches vom Erreichen der Ziele abhängig mache. Doch zunächst zu den beiden Autoren: Thomas Niehr ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der RWTH Aachen und beschäftigt sich vornehmlich mit Diskurslinguistik und Politolinguistik. Zu beiden Themengebieten veröffentlichte er 2014 – durchaus gelungene – Einführungen.Jana Reissen-Kosch i

Patria, oder "Die Buddenbrooks" auf Baskisch?

Patria, oder "Die Buddenbrooks" auf Baskisch? Fernando Aramburus Buch "Patria" war ein sogenannter Blindkauf. Interessanter Titel, eine Rahmenhandlung, die nach kurzem Lesen auf dem Schutzumschlag zu überzeugen wusste, aber vor allem die Empfehlung von Mario Vargas Llosa (Autor von „Das Fest des Ziegenbocks“ und „Das böse Mädchen“; Literaturnobelpreisträger), den ich unendlich schätze und dessen Einschätzung mir in einem kleinen Buchladen in Rostock das Gefühl gab, dieses Werk könnte mich durch den Ostsee-Urlaub begleiten. Die Geschichte ist grundsätzlich sehr knapp zusammenzufassen: Im Spanien nach der Franco-Diktatur erhebt sich die ETA, um für die Schaffung eines baskischen Nationalstaates - nicht nur mit Worten - zu kämpfen. Das Buch verfolgt dabei die Wege und die Handlungen von zwei Familien und ihren Matriarchinnen. Der Konflikt, der sich zwischen Nachbarn und in diesem Falle sogar Freunden entspinnt, die durch Einschüchterung und Mord voneinander ge

Ein Buch, das die Gesellschaft braucht, oder: Warum Toleranz das schwierigste der Welt ist.

Volker Kitz neues Buch „Meinungsfreiheit“ fiel mir in einem Artikel der ZEIT ins Auge, als er in einem lesenswerten Essay auf die definitorischen Probleme des Wortes Toleranz hinwies, die darin resultieren, dass die gängige Annahme zur Bedeutung des Wortes („Ich habe mit Homosexuellen kein Problem, also bin ich tolerant“) falsch ist. Nun las ich das neue Buch des Autors mit den fragwürdigen Buchtiteln und –covern in einem Rutsch durch und muss sagen, das Buch steht dem Essay in nichts nach. Ob er die Unterscheidung zwischen Fakten und Meinung thematisiert, die Strafbarkeit bestimmter Äußerungen problematisiert oder eben die falsche Benutzung der Toleranz erklärt, stets bewegt er sich mit einer fachkundig nüchternen Sprache im demokratischen Rahmen unseres Grundgesetzes und berichtet über dessen Grenzen und Möglichkeiten. Es ist sehr schade, dass sich ein so bewanderter Autor auf dieses Layout, den Titel und das Cover eingelassen hat. Jeder Leser, der seinen eigenen Name

Lieber Herr Gysi, eine Biographie ist zu wenig...

Gregor Gysi gilt wohl den meisten Deutschen als die Lichtgestalt der linken Politik. Auf ihn können sich faktisch alle einigen, häufig erfolgt aber noch die Ergänzung, er sei in der falschen Partei, um ihn zu unterstützen. Dass eine so rhetorisch starke, charismatische Person ihre Autobiographie noch als aktiver Politiker veröffentlicht (seit kurzem ist Gregor Gysi Präsident der Linken im Europaparlament), ist eine Seltenheit. Dass diese dann auch noch so lesenswert und mehr als Selbstbeweihräucherung ist, dann eine angenehme Überraschung. Aber zum Buch selbst zurück: Bei seinen Wurzeln ansetzend, die er selbst gar nicht so recht kannte, bis eine Verwandte ihm ihre Nachforschungen zur Familie zukommen ließ, erzählt er über seine Jugend in der DDR als Sohn eines angesehenen Politikers der DDR, der es selbst bis ins Ministeramt schaffte, seine ersten Schritte als Anwalt und Politiker. Später werden die Ausführungen immer häufiger auf politische Chroniken und Einschätzungen dazu

Warum wir die Öffentlich-Rechtlichen brauchen

"Nieder mit der Zwangsgebühr! Weg mit der GEZ!" Immer wieder höre ich die Diskussionen um die Gebühren, die für die Bereitstellung der öffentlich-rechtlichen Fernseh-, Radio- und Internetangebote eingezogen werden, sobald man eine Wohnung in Deutschland bezieht und somit die Möglichkeit hat, auf oben genannte Medien zuzugreifen.  17,50€ kostet die GEZ im Monat, bei Studierenden ist es die Hälfte, wenn sie denn bedürftig genug sind. Und auch wenn ich mich häufig ärgere, dass ich knapp zwanzig Euro im Monat abdrücken muss, die ich vielleicht lieber in etwas anderes investiert hätte, bringe ich für den Rundfunk viel Begeisterung auf. Warum das der Fall ist und welche Veränderungen und Verbesserungen aus meiner Sicht notwendig sind, möchte ich im Folgenden erklären. Als durchaus der Marktwirtschaft nicht abgeneigter Mensch wäre es eine Option, die ÖR zu privatisieren, also faktisch abzuschaffen, denn sonst wären sie nicht mehr öffentlich-rechtlich. Was wäre denn

[Teil 3] Ein Leben für den Fußball

Dass es im Fußball und vor allem in der Schiedsrichterei nicht immer nur bergauf geht, war eine der Erkenntnisse, die ich mitnehmen konnte und gleichzeitig auf das Leben generell übertragen konnte. Denn obwohl ich stets alle Spiele übernahm, zu denen man mich ansetzte, alle Regeltests pünktlich abgab und bei allen Lehrabenden dabei war, blieb ich faktisch auf meiner Entwicklungsstufe stehen.  Während ich die coolen Spiele alle vom Seitenrand, also als Assistent erlebte, pfiff ich selbst nur Juniorenspiele. Das mag für den Anfang ganz nett sein, aber nach zwei Jahren erhoffte ich mir mehr. Eine C-Jugend auf Großfeld konnte nicht der Maßstab sein, wenn ich irgendwann die Spiele selber leiten wollte, bei denen ich bislang nur an der Linie stand. Vor allem hatte ich das Gefühl, dass es für meine Weiterentwicklung nicht dienlich war, wenn ich Kleinfeldspiele leitete. Folglich meldete ich einmal, als ich von einem Beobachter gefragt wurde, ob ich denn gerne selbst Spiele leiten wolle, an

Eine Liebeserklärung auf das Laufen, oder „Ich laufe dann los“

Ronald Rengs „Warum wir laufen“ ist nach der großartigen Bundesliga-Geschichte „Spieltage. Eine andere Geschichte der Bundesliga“ und meinem bis heute schon dutzendfach gelesenen Lieblingsbuch „Robert Enke. Ein allzu kurzes Leben“ das dritte Werk, das ich von ihm lese.  Gekauft habe ich das Buch weniger aufgrund meiner eigenen Laufbegeisterung. Die existiert zwar, da ich als Fußballschiedsrichter nicht um das ein oder andere Lauftraining umhin komme, aber als enthusiastisch würde ich mich nicht beschreiben. Vielmehr erwartete ich eine Liebeserklärung an das Laufen. Und ich wurde nicht enttäuscht.  Auf knapp 300 Seiten widmet sich Reng seiner Leidenschaft aus vielfältigen Perspektiven. Sei es sein eigenes Leben, das seit seiner Jugendzeit durch das Laufen geprägt war, seien es unzählige Interviewpartner, die ihm, jede/r auf seine eigene Art und Weise, ihre Laufgeschichte erzählten oder seien es die wissenschaftlichen Beiträge, die einem jeden Sportler wahrhaft aufschlussreiche